Wüstenzeiten

„Und alsbald trieb der Geist Jesus in die Wüste; und er war in der Wüste vierzig Tage und wurde versucht von dem Satan und war bei den Tieren, und die Engel dienten ihm.“ (Markusevangelium, Kapitel 1, Vers 12 und 13)

Die Wüste kenne ich nur aus Büchern und Filmen. In ihrer Ästhetik. Auch in ihrer Bedrohlichkeit. Klar, Sand unter den Füßen, wie am Strand auf Amrum – nur kein Meer dabei. Klar, Hitze wie in den Sommern der letzten beiden Jahre – nur noch viel extremer. Aber alles andere? Nur aus zweiter und dritter Hand.

Ich kenne aber den einsamen Ort. Das Markusevangelium erzählt davon in einem ganz anderen Zusammenhang (Markus 6,32). Für mich ist dieser einsame Ort lange Zeit ein Kloster hier im Niedersächsischen gewesen. Ein Rückzugsort für geistliche Übungen. Dort, in der Einsamkeit des Schweigens – und zugleich aufgehoben in der Mittelgebirgslandschaft des Solling und in der Gemeinschaft einer Kommunität und der anderen Kursteilnehmenden – bin ich Gott begegnet.

Anfangs habe ich diese Einsamkeit gefürchtet. Zehn Tage im Schweigen!

Schon bald habe ich gemerkt, welcher Schatz sich da auftut, wenn man sich auf die Dynamik einer solchen Zeit einlässt.

Mit dem, was wir in diesen Tagen erleben, ist diese Erfahrung natürlich nur sehr begrenzt vergleichbar. Die Formen der Kontaktvermeidung und der Isolation, die uns verordnet oder nahegelegt werden, sind ganz andere. Sie sind nicht wie im Kloster abgefedert durch gemeinsame Gebetszeiten, gemeinsames Singen, gemeinsames Essen und ein tägliches Gespräch.

Und doch entdecke ich die Erfahrung aus meinen Exerzitien-Zeiten in diesen Tagen als Ressource. Wenn ich ganz im Schweigen bete und in der Bibel lese, wie ich es im Kloster geübt habe, bin ich mit meinen Gedanken und Gefühlen immer wieder auch dort in der Krypta. Das tröstet mich.

Und es gibt mir Kraft. Kraft, in der Stille auf Gott zu warten. Es auszuhalten, dass er mit seinen Antworten auf meine Fragen auf sich warten lässt. Stundenlang. Manchmal tagelang.

Diese Einsamkeit ist ganz anders als die, die ich in anderen Beziehungen erlebt habe, enttäuscht, stumm, verletzt.
Diese Einsamkeit ist irgendwie erfüllt. Erwartungsvoll.

Und ich weiß: Ich bin mit ihr nicht allein. Viele von uns erleben sie gerade, auf ganz, ganz unterschiedliche Weise. Und natürlich können viele nicht an solche Vorerfahrungen im Kloster anknüpfen wie ich.

Auch Jesus hat sie erlebt, damals, nach seiner Taufe, in der Wüste. Was er genau erlebt hat dort, darüber steht in den Berichten der Evangelien so gut wie nichts. Er wurde versucht. Er war bei den Tieren. Die Engel dienten ihm.

„Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen,“ hatte die Stimme gesagt, die bei seiner Taufe vom Himmel geschehen war. Und dann trieb ihn der Geist in die Wüste. Gottes Geist doch wohl...

Warum? Damit er herausfinden kann, wer er ist – ?
Sohn Gottes...

In der Wüste neu herausfinden wer wir sind: Könnte das eine Chance dieser Tage sein?

In der Wüste gedeiht ja nicht viel. Aber es gibt ja nicht nur die Wüsten, mit Sand und Sturm und Trockenheit, Hitze und Kälte. Es gibt seit alters auch die Hoffnung und die Verheißung, dass die Wüste blühen wird. Und viele arbeiten daran, nicht erst seit ein paar Tagen, mit eigener Energie und mit Gottes Hilfe, dass aus Wüsten Gärten werden.

Gott der Wüste und Gott des Gartens:
Dein Sohn ist in die Wüste gegangen.
Dort saß er.
Dort betete er.
Dort träumte er von einem Leben in größerer Fülle für andere.
Sieh uns, wie wir uns bemühen, für eine ungewisse Zeit in der Einsamkeit Wurzeln zu schlagen und zu bedenken, wie wir uns auseinandergelebt haben.
Lass uns die Ruhe finden, die wir brauchen.
Und lass neue Ideen in uns aufkeimen für die, die keine Ruhe kriegen. Amen.