Lektionar?
Das Wort „Lektionar“ geht auf den lateinischen Begriff „lectio“ („Lesung“) zurück. Ursprünglich hat man im Gottesdienst direkt aus der Bibel oder aus Teilsammlungen von Bibeltexten vorgetragen. Seit dem 5. Jahrhundert wurde es üblich, entsprechende Abschnitte aus den Texten zum Vorlesen in eigenen Sammlungen für den Ablauf des Kirchenjahres zu ordnen und zu drucken.
Was steht drin?
Im neuen Lektionar der evangelischen Kirchen ist zusammengestellt, welche Texte aus der Bibel an einem bestimmten Sonn- oder Festtag im Gottesdienst gelesen werden und welche Texte Grundlage der Predigt sind. Außerdem sind jedem Sonn- und Festtag zwei Lieder zugeordnet, die in einem besonderen Zusammenhang mit den jeweiligen biblischen Texten stehen, sowie ein Gebetspsalm, ein Bibelvers als geistliches Leitmotiv für die Woche oder den Tag („Spruch der Woche bzw. des Tages“) und ein Bibelvers als Zwischengesang zum Halleluja-Ruf.
Diese Zusammenstellung entspricht der neuen „Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder“ (OGTL), die mit dem 1. Advent offiziell in Kraft tritt. Sie löst die „Ordnung der Lesungen und Predigttexte“ ab, die seit 1978 in Geltung war und anlässlich der Einführung der „Evangelischen Gottesdienstbuches“ 1999 wenige geringfügige Veränderungen erfahren hatte.
Was ist neu?
Textauswahl. 104 biblische Texte wurden neu aufgenommen, mit einem Schwerpunkt bei den Texten aus dem Alten Testament (der Anteil liegt jetzt bei gut 1/3 statt bislang 1/6). Dafür sind 74 Texte aus der bisherigen Ordnung entfallen. 75 Texte sind erhalten geblieben, wurden aber einem anderen Tag zugeordnet.
Druckbild. Zur Erleichterung des Vorlesens sind die Texte in so genannte „Sprecheinheiten“ gegliedert. Sie sollen helfen, den Textsinn schneller zu erfassen als im bisherigen Blocksatz.
Psalmen. Die Psalmen sind nun bewusst für das gemeinsame Beten der Gemeinde im Gottesdienst ausgewählt und eingerichtet. Dafür wurde zum Teil die Auswahl der Psalmen geändert (und an die Tradition der Introitus-Psalmen angepasst). Auch der „Zuschnitt“ bestimmter Psalmen (die Auswahl bestimmter Verse) ist neu.
Lieder. Es gibt für jeden Sonn- und Festtag nun zwei Lieder der Woche bzw. des Tages, in der Regel aus unterschiedlichen Epochen an und in unterschiedlichen Stilistiken. Darunter sind auch neuere Lieder, die sich durch landeskirchliche Anhänge und Beihefte zum Evangelischen Gesangbuch und Kirchentagsliederbücher verbreitet haben. Mindestens eines der Lieder soll leicht singbar sein.
Halleluja. Das „Halleluja“ (und der dazugehörige Hallelujavers) ist nun die Einleitung zur Evangeliumslesung und nicht mehr die Antwort der Gemeinde auf die Epistellesung. Diese Funktion ist die historisch ursprüngliche, und sie entspricht der Praxis in den Kirchen der Ökumene.
Predigttext-Jahrgänge. Woche für Woche wechselnd wird über Evangelien-, alttestamentliche und Episteltexte gepredigt. Ganze Jahrgänge ausschließlich mit Evangelien- oder Epistelpredigten gibt es nicht mehr. Insgesamt gibt es weiterhin sechs Jahrgänge von Predigttexten. Neu sind Vorschläge für kleine Predigtreihen in der Passionszeit und nach Trinitatis.
Kirchenjahr, Übergang Weihnachtszeit-Epiphaniaszeit. Die Weihnachtszeit bekommt ein festes Enddatum: Sie endet mit der Woche, in der der 2. Februar (Tag der Darstellung Jesu im Tempel / Lichtmess) liegt. Das bedeutet: es gibt fast immer vier Sonntage nach Epiphanias (drei und den „Letzten“). In Jahren wie 2019, in denen Epiphanias auf einen Sonntag fällt, entfällt der 3. Sonntag nach Epiphanias. Dafür wird die Zahl der Sonntage zwischen dem Letzten Sonntag nach Epiphanias und dem Beginn der Passionzeit flexibel: Je nach Ostertermin entfällt oft der 5., immer mal wieder der 4., selten der 3. (Septuagesimä), fast nie der 2. (Sexagesimä) und eigentlich nie der 1. Sonntag vor der Passionszeit (Estomihi). Die in der Epiphaniaszeit (4. und 5. Sontag nach Epiphanias) entfallenen Proprien sind in den 5. und 4. Sonntag vor der Passionszeit überführt worden.
Kirchenjahr, 10. Sonntag nach Trinitatis. Der so genannte „Israel-Sonntag“ kann künftig mit zwei unterschiedlichen Akzenten versehen werden: mit der liturgischen Farbe grün unter der Überschrift „Christen und Juden – Freude an Israel“ oder mit der liturgischen Farbe violett unter der Überschrift „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“.
Kirchenjahr, weitere Feste/Gedenktage. Die Zahl der Feste und Gedenktagen ist größer geworden. Hinzugekommen sind der 27. Januar (Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus) und der 9. November (Tag des Gedenkens an die Novemberpogrome), der Martinstag (11. November) und der Nikolaustag (6. Dezember), der Tag der Maria Magdalena (22. Juli) u. a.
Themenfelder. In fünfzehn so genannten „Themenfeldern“ (z.B. Arbeit, Armut und Reichtum, Frieden, Leben der Kirche) sind Bibeltexte zusammengestellt, aus denen sich je nach Anlass und Bedarf passende Proprien für einen Gottesdienst bilden lassen. Die Themenfelder ersetzen den bisherigen Abschnitt „Besondere Tage und Anlässe“.
Erläuterungen. Im Perikopenbuch (nicht im Lektionar) ist zu jedem Sonn- und Feiertag und zum Teil auch zu den Festen und Gedenktagen eine Doppelseite mit Erläuterungen enthalten, die den inhaltlichen „roten Faden“ oder „Klangraum“ eines Tages beschreibt, Kontexte benennt und Gestaltungsvorschläge bietet.
Neue Bücher
Das „Lektionar“ – das Buch zum Vorlesen für die Verwendung im Gottesdienst – enthält die drei biblischen Lesungen und die drei zusätzlichen Predigttexte jedes Sonn-, Fest- und Gedenktags, dazu den jeweiligen Spruch, Gebetspsalm und Halleluja-Vers, schließlich die Angabe der beiden Lieder. Es wird herausgegeben von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK).
Daneben gibt es das „Perikopenbuch“ – gedacht als häusliches Vorbereitungsbuch für Pfarrer*innen, Kirchenmusiker*innen und Lektor*innen bzw. Prädikant*innen. Es bietet die biblischen Texte im selben Seiten- und Zeilenspiegel wie das Lektionar und enthält darüber hinaus knappe Einführungen zu jedem Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres, die den jeweiligen Text-, Klang- und Farbraum eines „Propriums” charakterisieren. Es wird herausgegeben von der Liturgischen Konferenz in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Als Supplement zum Evangelischen Gesangbuch ist ein Ergänzungsheft mit den Psalmen in der Auswahl der neuen Ordnung erschienen, und mit den neuen Liedern der Woche bzw. des Tages, die im Stammteil des aktuellen EG nicht enthalten sind. Es wird von der EKD herausgegeben.
Alle drei Publikationen sind in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig und im Luther-Verlag Bielefeld erschienen und seit Oktober 2018 über den Buchhandel erhältlich.
Für Kirchenmusiker*innen und Chöre erscheinen im Strube-Verlag ein Tastenbegleitheft (November 2018), ein Posaunenheft (Dezember 2018) und ein Chorheft (Frühjahr 2019).
Digitale Möglichkeiten
Die VELKD betreibt zusammen mit der bayerischen Landeskirche das Online-Angebot kirchenjahr-evangelisch.de. Neben den Text- und Liedangaben (auch des Hallelujaverses) zu jedem Sonn- und Festtag finden sich dort Kurzeinführungen zum jeweiligen Tag, Gebetsvorschläge, Hinweise auf das jahreszeitliche Brauchtum und spirituelle Impulse. Das Angebot ist auch als App für Android und iOS-Betriebssysteme erhältlich.
Das Online-Portal perikopen-evangelisch.de versammelt ab Dezember 2018 viele Informationen und Links zu zusätzlichen Materialien zur neuen Ordnung der gottesdienstlichen Texte und Lieder.
Ein digitales Angebot zum Lektionar ist in Vorbereitung.
Überarbeitung des Evangelischen Gottesdienstbuches
In Planung ist auch eine überarbeitete Ausgabe des Evangelischen Gottesdienstbuches, in die alle Veränderungen der neuen Ordnung aufgenommen werden.