Orgelmusik und Popkultur


Wenn Sie Werktreue schätzen und zwischen E- und U-Musik unterscheiden, lesen Sie jetzt besser nicht weiter; je nach Disposition steigt entweder Ihr Blutdruck oder Ihr Desinteresse. Denn an Cameron Carpenter scheiden sich die Geister. Der 33-jährige US-Amerikaner, dessen musikalische Karriere an der American Boychoir School und an der berühmten Juillard School in New York begann, tut alles um mit den herkömmlichen Bildern von Organisten und Orgelmusik gründlich aufzuräumen. Er spielt traditionelles Orgelrepertoire mit einer Virtuosität, die alle bislang gekannten Muster sprengt. Er transkribiert und komponiert und nutzt dafür die Musikgattungen und Konzerträume, wie es im gefällt. Er geht auf Tournee mit einer eigens für ihn konzipierten digitalen Konzertorgel, und er inszeniert sich wie ein Popstar, mit strassbesetzten Tanzschuhen und Undercut-Frisur.

Viele empfinden das als sinnfreie Effekthascherei oder zu extrem. Mir geht es oft genauso. Freilich: als Zeitgenosse wäre es mir mit Liszt und Paganini vermutlich ähnlich gegangen. Doch dann höre ich, wie Carpenter Bachs sechste Triosonate tanzt (BWV 530, CD „If you could read my mind“, Sony 2013) und sehe, wie er zusammen mit der Hornistin Sarah Willis die Schuke-Orgel in der Berliner Philharmonie für Kinder erkundet und denke: Inszenierung hin, Popkultur her – Carpenter steht für einen „So hab ich das noch nie gehört“-Effekt. Und er vermittelt, dass Orgelmusik etwas Lustvolles sein kann. Eigentlich ziemlich interessant. Aber urteilen Sie selbst!