Tagung vom 14. bis 16. Dezember 2012
an der Evangelischen Akademie Loccum
Ein Sohn sucht die Versöhnung mit seinem Vater, obwohl sein Bemühen ohne Antwort bleibt. Eine Familie, der die Schulden über den Kopf gewachsen sind, versucht einen Neuanfang. Eine Frau verlässt Mann und Kind und sucht nach einer Lebensperspektive für die Sehnsucht, die sie in sich entdeckt hat.
Tiefgreifende Lebenswenden gibt es immer wieder. Menschen gewinnen einen anderen Blick auf ihre Lebenssituation und entscheiden sich für eine neue Ausrichtung ihres Lebens. Das kann Einzelne betreffen. Die Forderung nach einer kategorialen Lebenswende begegnet aber auch als gesellschaftliches Phänomen: Wie können wir angesichts begrenzter wirtschaftlicher Wachstumsmöglichkeiten und ökologischer Ressourcen verträglich miteinander leben?
(2) Der Impuls zu einer Lebensveränderung kann auch religiös motiviert sein. Beispiele sind zum einen die in der Bibel überlieferten Bekehrungsgeschichten, die davon berichten, wie die (Erst-)Begegnung mit Gott Menschen auf neue Wege führt. Daneben gibt es Traditionen, die Lebenswenden bzw. Umkehr als Wiederanknüpfung an ein schon einmal bestehendes Gottesverhältnis und in seinem Geist gegangene Wege beschreiben. Dabei kann man cum grano salis zwischen dem Konzept „Umkehr als Rückkehr“ und „Umkehr als aktiver Sinneswandel“ unterscheiden. Das erste Konzept findet sich verstärkt in der alttestamentlichen Überlieferung (Rückkehr zu Gott, Abwendung vom Bösen bzw. Falschen wie z. B. von der Verehrung anderer Götter). Das zweite Konzept findet sich vor allem im Neuen Testament und ist mit der Zukunft eröffnenden Perspektive des anbrechenden Gottesreichs verbunden, in dessen Horizont sich der Mensch als frei zu anderem Handeln erfahren kann.
(3) Umkehr lässt sich lernen, insofern Lernen die Aneignung und fortlaufende Modifikation von Wissen als Folge aktiver, handelnder Weltaneignung ist – die Semantisierung der Welt in Form kognitiver, sozialer und emotionaler Landkarten, in denen wir unser Bild von uns selbst, Beziehungen zu Menschen und Dingen, Möglichkeitsräume ausdifferenzieren. Wesentliche Prozesse der Änderung meines In-der-Welt-Seins und Handelns können darum im Umlernen oder Neulernen von Handlungsschemata („Ich bin kompent“, „Hier versage ich“ u.v.a.) bestehen. Entscheidend für das Gelingen ist dabei, dass Lernen nur an aktivierten Schemata möglich ist, d. h. wenn Handeln oder Handlungsimpulse in realen oder vorgestellten Situationen auftreten.
(4) Im Blick auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist vor allem eine große Diskrepanz zwischen den vorhandenen und erkannten Bedarfen zur Umkehr einerseits und der Einsicht in die Notwendigkeit zur Umkehr andererseits auszumachen. Das Kernproblem in kollektiven Kontexten ist dabei die Frage, in welchem Maße Menschen Grenzen akzeptieren – ihre eigenen und systemische Entwicklungsmöglichkeiten. Wichtigste strategische Hilfen bei der Gestaltung kollektiver Umkehrprozesse sind Nüchternheit, Transparenz, Geduld sowie die Modellierung von Situationen. Umkehr lernen heißt wesentlich, zu lernen sich von sich selbst zu distanzieren.
(5) Kirchengeschichtlich gesehen, lässt sich eine Entwicklung von den Anfängen der Kirche in neutestamentlicher Zeit bis in die Gegenwart beschreiben, an deren Ende die (evangelische wie die katholische) Kirche weder das Ziel einer Umkehrbewegung ist noch der Raum, in dem sich eine Umkehr zu Gott vollzieht. Phänomene wie Beichte und Umkehr leben heute am erkennbarsten und stärksten in den Randgebieten kirchlichen Handelns: in Krankenhaus, Knast und Kommunitäten.
(6) Der Versuch, Visionen von einem umkehr-orientierten Leben zu entwickeln oder gar Pointen einer christlichen Umkehr-Theologie herauszuarbeiten, ist nur bedingt gelungen. Von den vielen Begriffen für die Phänomene, die im weitesten Sinne mit Umkehr und Lebenswende(n) verbunden sind – Abkehr, Wandlung, griech. metanoia, Wende, Rückkehr, Buße, Bekehrung, Gesinnungswandel, Neubeginn, Läuterung, Besserung, Einkehr, Reue, Systemwechsel, Paradigmenwechsel, Umsteuern – war am Ende den Teilnehmenden der Begriff des „Change management“ der wichtigste und treffendste. Fragen wie die nach dem Verhältnis zwischen menschlicher Eigenleistung und vorausgehender „fremder“ Leistung blieben unbeantwortet.
an der Evangelischen Akademie Loccum
Ein Sohn sucht die Versöhnung mit seinem Vater, obwohl sein Bemühen ohne Antwort bleibt. Eine Familie, der die Schulden über den Kopf gewachsen sind, versucht einen Neuanfang. Eine Frau verlässt Mann und Kind und sucht nach einer Lebensperspektive für die Sehnsucht, die sie in sich entdeckt hat.
Tiefgreifende Lebenswenden gibt es immer wieder. Menschen gewinnen einen anderen Blick auf ihre Lebenssituation und entscheiden sich für eine neue Ausrichtung ihres Lebens. Das kann Einzelne betreffen. Die Forderung nach einer kategorialen Lebenswende begegnet aber auch als gesellschaftliches Phänomen: Wie können wir angesichts begrenzter wirtschaftlicher Wachstumsmöglichkeiten und ökologischer Ressourcen verträglich miteinander leben?
Die Bibel spricht in
vergleichbaren Zusammenhängen von „Buße“ und „Umkehr“. Sie überliefert
zahlreiche Erzählungen von bewussten Lebenswenden Einzelner – von Jakob über Jeremia
bis hin zum Steuerbeamten Zachäus und zu Paulus. Und sie überliefert die an
Viele gerichtete Aufforderung zur Umkehr in den alttestamentlichen Prophetenbüchern,
in Gestalt der Umkehrpredigt Johannes des Täufers und in der Verkündigung Jesu.
Im Blick auf die biblische
Überlieferung ist klar: Umkehr und Neuorientierung haben mit Gott zu tun. Es
geht um eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, deren Maßstab die göttliche
Heilszusage für die Welt ist.
Aber welches sind die anthropologischen Bedingungen und Begleitumstände, die Umkehr ermöglichen und Lebenswenden gelingen lassen? Welche Impulse und Schritte sind nötig, um den Lebensstil nachhaltig zu ändern? Was verhindert im Wortsinne „not-wendige“ Entscheidungen? Welche Erfahrungen haben Menschen mit bewusst getroffenen Veränderungen gemacht? Wie können Einzelne etwas bewegen? Wohin führt Umkehr?
Hier einige Kernaussagen aus den Beiträgen und Diskussionen:
(1) Der Wunsch bzw. die Notwendigkeit zu einer Veränderung der bisherigen Lebenspraxis entsteht in den meisten Fällen im Kontext krisenhafter Situationen. Das gilt im Individuellen wie in allen Bereichen kollektiver Lebensgestaltung gleichermaßen. Zur Unterstützung solcher Lebensveränderungen gibt es zahlreiche Angebote unterschiedlichster Provenienz und Form. Ein Beispiel aus der Eröffnungsrunde: Im Justizvollzug werden positive Erfahrungen mit der Methode „Naikan“ gemacht, einem siebentägigen Schweige-Seminar, in dessen Verlauf die Straffälligen anhand von drei Leitfragen (Was hat eine bestimmte Bezugsperson in einem bestimmten Zeitabschnitt für Dich getan? Was hast Du für diese Person in dieser Zeit getan? Welche Schwierigkeiten hat Du dieser Person in dieser Zeit bereitet?) angeleitete Introspektion betreiben und einer Begleitperson darüber berichten. Das Verfahren dient der psychischen Weiterentwicklung, hilft bei der Beendigung eines bestimmten Lebensabschnittes und der Umdeutung von Lebenszielen, unterstützt die Anbindung an gesellschaftliche Werte und trägt zur Verbesserung sozialer Fähigkeiten bei.Aber welches sind die anthropologischen Bedingungen und Begleitumstände, die Umkehr ermöglichen und Lebenswenden gelingen lassen? Welche Impulse und Schritte sind nötig, um den Lebensstil nachhaltig zu ändern? Was verhindert im Wortsinne „not-wendige“ Entscheidungen? Welche Erfahrungen haben Menschen mit bewusst getroffenen Veränderungen gemacht? Wie können Einzelne etwas bewegen? Wohin führt Umkehr?
Hier einige Kernaussagen aus den Beiträgen und Diskussionen:
(2) Der Impuls zu einer Lebensveränderung kann auch religiös motiviert sein. Beispiele sind zum einen die in der Bibel überlieferten Bekehrungsgeschichten, die davon berichten, wie die (Erst-)Begegnung mit Gott Menschen auf neue Wege führt. Daneben gibt es Traditionen, die Lebenswenden bzw. Umkehr als Wiederanknüpfung an ein schon einmal bestehendes Gottesverhältnis und in seinem Geist gegangene Wege beschreiben. Dabei kann man cum grano salis zwischen dem Konzept „Umkehr als Rückkehr“ und „Umkehr als aktiver Sinneswandel“ unterscheiden. Das erste Konzept findet sich verstärkt in der alttestamentlichen Überlieferung (Rückkehr zu Gott, Abwendung vom Bösen bzw. Falschen wie z. B. von der Verehrung anderer Götter). Das zweite Konzept findet sich vor allem im Neuen Testament und ist mit der Zukunft eröffnenden Perspektive des anbrechenden Gottesreichs verbunden, in dessen Horizont sich der Mensch als frei zu anderem Handeln erfahren kann.
(3) Umkehr lässt sich lernen, insofern Lernen die Aneignung und fortlaufende Modifikation von Wissen als Folge aktiver, handelnder Weltaneignung ist – die Semantisierung der Welt in Form kognitiver, sozialer und emotionaler Landkarten, in denen wir unser Bild von uns selbst, Beziehungen zu Menschen und Dingen, Möglichkeitsräume ausdifferenzieren. Wesentliche Prozesse der Änderung meines In-der-Welt-Seins und Handelns können darum im Umlernen oder Neulernen von Handlungsschemata („Ich bin kompent“, „Hier versage ich“ u.v.a.) bestehen. Entscheidend für das Gelingen ist dabei, dass Lernen nur an aktivierten Schemata möglich ist, d. h. wenn Handeln oder Handlungsimpulse in realen oder vorgestellten Situationen auftreten.
(4) Im Blick auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist vor allem eine große Diskrepanz zwischen den vorhandenen und erkannten Bedarfen zur Umkehr einerseits und der Einsicht in die Notwendigkeit zur Umkehr andererseits auszumachen. Das Kernproblem in kollektiven Kontexten ist dabei die Frage, in welchem Maße Menschen Grenzen akzeptieren – ihre eigenen und systemische Entwicklungsmöglichkeiten. Wichtigste strategische Hilfen bei der Gestaltung kollektiver Umkehrprozesse sind Nüchternheit, Transparenz, Geduld sowie die Modellierung von Situationen. Umkehr lernen heißt wesentlich, zu lernen sich von sich selbst zu distanzieren.
(5) Kirchengeschichtlich gesehen, lässt sich eine Entwicklung von den Anfängen der Kirche in neutestamentlicher Zeit bis in die Gegenwart beschreiben, an deren Ende die (evangelische wie die katholische) Kirche weder das Ziel einer Umkehrbewegung ist noch der Raum, in dem sich eine Umkehr zu Gott vollzieht. Phänomene wie Beichte und Umkehr leben heute am erkennbarsten und stärksten in den Randgebieten kirchlichen Handelns: in Krankenhaus, Knast und Kommunitäten.
(6) Der Versuch, Visionen von einem umkehr-orientierten Leben zu entwickeln oder gar Pointen einer christlichen Umkehr-Theologie herauszuarbeiten, ist nur bedingt gelungen. Von den vielen Begriffen für die Phänomene, die im weitesten Sinne mit Umkehr und Lebenswende(n) verbunden sind – Abkehr, Wandlung, griech. metanoia, Wende, Rückkehr, Buße, Bekehrung, Gesinnungswandel, Neubeginn, Läuterung, Besserung, Einkehr, Reue, Systemwechsel, Paradigmenwechsel, Umsteuern – war am Ende den Teilnehmenden der Begriff des „Change management“ der wichtigste und treffendste. Fragen wie die nach dem Verhältnis zwischen menschlicher Eigenleistung und vorausgehender „fremder“ Leistung blieben unbeantwortet.