... wenn du was zu sagen hast. Aber lass' ihn zu, wenn nicht. Kirche muss immer wieder neu entscheiden, wo sie sich in den öffentlichen Diskurs einmischt.
Sie äußert sich zu Fragen der Gentechnik und der Gesundheitspolitik, zu unternehmerischem Handeln und Klimawandel, zu Armut und Leben im Alter. Nicht weil sie politische Partei wäre oder weil es ihr darum geht, ein bestimmtes Programm zu verwirklichen. Sondern weil sie es als ihre Aufgabe ansieht, in die Öffentlichkeit hinein Stellung zu nehmen zu den Fragen, die politisch und gesellschaftlich ,dran sind'. Und weil sie für eine Wertorientierung eintritt, die dem Wohlergehen aller dient.
Angefangen hat es 1962 mit „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung“. Seitdem äußert sich die Evangelische Kirche in Deutschland als Institution in Form von Denkschriften und anderen Verlautbarungen in der politischen Öffentlichkeit. Woher kommt der Auftrag dazu? An wen richtet sich die Kirche und unter welchen Bedingungen? In einer eigenen Denkschrift („Das rechte Wort zur rechten Zeit“, 2008) haben sich die Kammer für öffentliche Verantwortung und der Rat der EKD vor einigen Jahren mit dem Öffentlichkeitsauftrag der Kirche befasst und Antworten auf diese Fragen gegeben.
Verantwortung – in fremdem Auftrag
„Weil der Gott, an den Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung“, heißt es darin. Und die Öffentlichkeit habe „ein Recht darauf, zu erfahren, was eine Kirche zu entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Fragen aktuell und auf Dauer geistlich beizutragen hat“ (Nr. 94).
Darum übernimmt die evangelische Kirche Mitverantwortung für das Gemeinwesen und äußert sich zu Fragen des öffentlichen Lebens. Darum sucht sie den Dialog mit staatlichen und überstaatlichen Organen, mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen - natürlich auch mit anderen Kirchen und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Darum beteiligt sie sich an öffentlichen demokratischen Prozessen.
Das Evangelium „hat kulturelle, soziale und politische Kraft“ (Nr. 7). Das Recht dazu geben ihr die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Aber ihr Auftrag hat auch Grenzen. Die Kirche darf sich nicht „staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden“. So haben es schon 1934 die Verfasser der Theologischen Erklärung von Barmen formuliert. Und das gilt nach wie vor (Nr. 16).
Wer bitte spricht denn da?
Natürlich äußert sich die evangelische Kirche nicht nur in Denkschriften, Stellungnahmen oder Erklärungen. Sie tut es in vielerlei Form: in Predigten, Kanzelabkündigungen und synodalen Kundgebungen. In Interviews und Pressemitteilungen. Auf Kirchentagen und in Akademien. In Talkshows und in Gesprächskreisen. Immer wieder auch in ökumenischer Gemeinsamkeit. Dies alles geschieht „unter den Bedingungen der Partizipation von Kirchenmitgliedern an der jeweiligen Diskussion“, heißt es in der Denkschrift (Nr. 28). So ist es für die evangelische Kirche typisch.
In der Praxis ist das immer eine Gratwanderung zwischen Kohärenz und Lernprozessen. Welches Gewicht eine Äußerung am Ende hat, hat mit ihrer Form zu tun, und damit, wer sich äußert. Wer für die evangelische Kirche als Institution sprechen darf, ist im Einzelnen rechtlich geregelt. Die Denkschriften und andere Stellungnahmen werden von Fachgremien der EKD ausgearbeitet, und der Rat – das Gremium, das die Geschäfte zwischen den Synoden führt - macht sie sich zu Eigen. Stellvertretend für weit über 23 Millionen evangelische Kirchenmitglieder deutschlandweit. Bindenden Charakter hat das alles freilich nur in einem geistlichen Sinne: insofern es die Gewissen bindet. Denn letztlich sind es die vielen Christinnen und Christen, die auf der Grundlage ihres Glaubens in aktuellen Debatten das Wort ergreifen und Verantwortung übernehmen – in der Freiheit eines Christenmenschen (Nr. 24).
Sich einmischen und, wo nötig, Partei ergreifen
Zeitgemäß und aktuell im Dialog zu sein, und zwar vom christlichen Glauben her und in der Sache bestmöglich informiert – das ist der Anspruch, den die evangelische Kirche hat. Über 30 Denkschriften und mehr als 250 andere Verlautbarungen sind seit den 1960er Jahren zu diesem Zweck erschienen. Um aufmerksam zu machen auf gegenwärtige und absehbare Herausforderungen und Problemlagen. Als Versuche, Antworten zu geben auf aktuelle Fragen, die Politik und Gesellschaft bewegen. In der Hoffnung, Themen neu ins Bewusstsein heben zu können. Und mit klaren Argumenten, um zu divergierenden Positionen, widerstreitenden Interessen und notwendigen Güterabwägungen im öffentlichen Diskurs Stellung zu beziehen (vgl. Nr. 30).
Dabei ist es immer wieder nötig, auch Partei zu ergreifen und Anwältin zu sein für die, die selbst zu schwach und ohne Chancen sind (vgl. Nr. 44). Das geht nicht ohne Widerspruch und Streit. Wo immer die Kirche das tut, wird sie sorgsam die Folgerungen reflektieren. Und sie wird sich in ihren Äußerungen „daran messen lassen, ob sie von den Kirchen und ihrer Diakonie selbst befolgt werden“ (Nr. 46).
Pluralität bewusst gestalten – und wenn es sein muss, schweigen
Auch als politische Akteure sind die Kirchen Teil einer pluralistischen Gesellschaft. Die evangelische Kirche bejaht diese Vielfalt ohne Wenn und Aber. Pluralismusfähigkeit gehört zu ihrem Selbstverständnis. Denn dass der Glaube Menschen durch das zuteil wird, was ihnen als glaubwürdig begegnet, ist eine typisch evangelische Erkenntnis: Wir verfügen nicht über das, woran wir glauben (vgl. Nr. 58). Darum setzt sich die evangelische Kirche bewusst den Fragen der Zeit aus und bleibt von den Strömungen und Einflüssen der Gesellschaft nicht unberührt.
Gleichwohl: Zum Spiegelbild der pluralistischen Gesellschaft kann sie nicht werden wollen. „Sie verlöre sonst ihre Identität und damit die Chance, als Überzeugungsgemeinschaft dieser pluralistischen Gesellschaft eine klare Orientierung anzubieten“ (Nr. 60).
Deshalb begibt die Kirche sich mit ihren Äußerungen „in einen Wettbewerb und Streit um die Gestaltung unserer Gesellschaft“. Sie beteiligt sich an der gemeinsamen Suche nach Lösungen, die dem Leben dienen. Sie mischt sich öffentlich ein, um zu finden, was in der Gegenwart und Zukunft individuell und gemeinsam trägt und zusammenhält (Nr. 65). So übernimmt sie Verantwortung. Nicht um Politik zu ,machen', sondern weil es – wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seinem Grußwort an die Mitglieder der EKD-Synode 1996 betonte – „halt doch darum [geht,] Politik möglich zu machen“. Und das „gleichermaßen wachsam, nüchtern und leidenschaftlich, passioniert, und manchmal auch mit Schweigen“ (Nr. 94).
Dieser Text ist mein Beitrag zum EKD-Themenmagazin „Reformation. Macht. Politik“ für das Themenjahr 2014 der Reformationsdekade. Siehe www.reformation-und-politik.de
Die Belege im Text beziehen sich auf die nummerierten Abschnitte in: Das rechte Wort zur rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der EKD zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, Gütersloh 2008. (Download hier)
Sie äußert sich zu Fragen der Gentechnik und der Gesundheitspolitik, zu unternehmerischem Handeln und Klimawandel, zu Armut und Leben im Alter. Nicht weil sie politische Partei wäre oder weil es ihr darum geht, ein bestimmtes Programm zu verwirklichen. Sondern weil sie es als ihre Aufgabe ansieht, in die Öffentlichkeit hinein Stellung zu nehmen zu den Fragen, die politisch und gesellschaftlich ,dran sind'. Und weil sie für eine Wertorientierung eintritt, die dem Wohlergehen aller dient.
Angefangen hat es 1962 mit „Eigentumsbildung in sozialer Verantwortung“. Seitdem äußert sich die Evangelische Kirche in Deutschland als Institution in Form von Denkschriften und anderen Verlautbarungen in der politischen Öffentlichkeit. Woher kommt der Auftrag dazu? An wen richtet sich die Kirche und unter welchen Bedingungen? In einer eigenen Denkschrift („Das rechte Wort zur rechten Zeit“, 2008) haben sich die Kammer für öffentliche Verantwortung und der Rat der EKD vor einigen Jahren mit dem Öffentlichkeitsauftrag der Kirche befasst und Antworten auf diese Fragen gegeben.
Verantwortung – in fremdem Auftrag
„Weil der Gott, an den Christenmenschen glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern ihr zuwendet, hat das Evangelium stets politische Bedeutung“, heißt es darin. Und die Öffentlichkeit habe „ein Recht darauf, zu erfahren, was eine Kirche zu entscheidenden gesellschaftlichen und politischen Fragen aktuell und auf Dauer geistlich beizutragen hat“ (Nr. 94).
Darum übernimmt die evangelische Kirche Mitverantwortung für das Gemeinwesen und äußert sich zu Fragen des öffentlichen Lebens. Darum sucht sie den Dialog mit staatlichen und überstaatlichen Organen, mit den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen - natürlich auch mit anderen Kirchen und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Darum beteiligt sie sich an öffentlichen demokratischen Prozessen.
Das Evangelium „hat kulturelle, soziale und politische Kraft“ (Nr. 7). Das Recht dazu geben ihr die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Aber ihr Auftrag hat auch Grenzen. Die Kirche darf sich nicht „staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden“. So haben es schon 1934 die Verfasser der Theologischen Erklärung von Barmen formuliert. Und das gilt nach wie vor (Nr. 16).
Wer bitte spricht denn da?
Natürlich äußert sich die evangelische Kirche nicht nur in Denkschriften, Stellungnahmen oder Erklärungen. Sie tut es in vielerlei Form: in Predigten, Kanzelabkündigungen und synodalen Kundgebungen. In Interviews und Pressemitteilungen. Auf Kirchentagen und in Akademien. In Talkshows und in Gesprächskreisen. Immer wieder auch in ökumenischer Gemeinsamkeit. Dies alles geschieht „unter den Bedingungen der Partizipation von Kirchenmitgliedern an der jeweiligen Diskussion“, heißt es in der Denkschrift (Nr. 28). So ist es für die evangelische Kirche typisch.
In der Praxis ist das immer eine Gratwanderung zwischen Kohärenz und Lernprozessen. Welches Gewicht eine Äußerung am Ende hat, hat mit ihrer Form zu tun, und damit, wer sich äußert. Wer für die evangelische Kirche als Institution sprechen darf, ist im Einzelnen rechtlich geregelt. Die Denkschriften und andere Stellungnahmen werden von Fachgremien der EKD ausgearbeitet, und der Rat – das Gremium, das die Geschäfte zwischen den Synoden führt - macht sie sich zu Eigen. Stellvertretend für weit über 23 Millionen evangelische Kirchenmitglieder deutschlandweit. Bindenden Charakter hat das alles freilich nur in einem geistlichen Sinne: insofern es die Gewissen bindet. Denn letztlich sind es die vielen Christinnen und Christen, die auf der Grundlage ihres Glaubens in aktuellen Debatten das Wort ergreifen und Verantwortung übernehmen – in der Freiheit eines Christenmenschen (Nr. 24).
Sich einmischen und, wo nötig, Partei ergreifen
Zeitgemäß und aktuell im Dialog zu sein, und zwar vom christlichen Glauben her und in der Sache bestmöglich informiert – das ist der Anspruch, den die evangelische Kirche hat. Über 30 Denkschriften und mehr als 250 andere Verlautbarungen sind seit den 1960er Jahren zu diesem Zweck erschienen. Um aufmerksam zu machen auf gegenwärtige und absehbare Herausforderungen und Problemlagen. Als Versuche, Antworten zu geben auf aktuelle Fragen, die Politik und Gesellschaft bewegen. In der Hoffnung, Themen neu ins Bewusstsein heben zu können. Und mit klaren Argumenten, um zu divergierenden Positionen, widerstreitenden Interessen und notwendigen Güterabwägungen im öffentlichen Diskurs Stellung zu beziehen (vgl. Nr. 30).
Dabei ist es immer wieder nötig, auch Partei zu ergreifen und Anwältin zu sein für die, die selbst zu schwach und ohne Chancen sind (vgl. Nr. 44). Das geht nicht ohne Widerspruch und Streit. Wo immer die Kirche das tut, wird sie sorgsam die Folgerungen reflektieren. Und sie wird sich in ihren Äußerungen „daran messen lassen, ob sie von den Kirchen und ihrer Diakonie selbst befolgt werden“ (Nr. 46).
Pluralität bewusst gestalten – und wenn es sein muss, schweigen
Auch als politische Akteure sind die Kirchen Teil einer pluralistischen Gesellschaft. Die evangelische Kirche bejaht diese Vielfalt ohne Wenn und Aber. Pluralismusfähigkeit gehört zu ihrem Selbstverständnis. Denn dass der Glaube Menschen durch das zuteil wird, was ihnen als glaubwürdig begegnet, ist eine typisch evangelische Erkenntnis: Wir verfügen nicht über das, woran wir glauben (vgl. Nr. 58). Darum setzt sich die evangelische Kirche bewusst den Fragen der Zeit aus und bleibt von den Strömungen und Einflüssen der Gesellschaft nicht unberührt.
Gleichwohl: Zum Spiegelbild der pluralistischen Gesellschaft kann sie nicht werden wollen. „Sie verlöre sonst ihre Identität und damit die Chance, als Überzeugungsgemeinschaft dieser pluralistischen Gesellschaft eine klare Orientierung anzubieten“ (Nr. 60).
Deshalb begibt die Kirche sich mit ihren Äußerungen „in einen Wettbewerb und Streit um die Gestaltung unserer Gesellschaft“. Sie beteiligt sich an der gemeinsamen Suche nach Lösungen, die dem Leben dienen. Sie mischt sich öffentlich ein, um zu finden, was in der Gegenwart und Zukunft individuell und gemeinsam trägt und zusammenhält (Nr. 65). So übernimmt sie Verantwortung. Nicht um Politik zu ,machen', sondern weil es – wie der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seinem Grußwort an die Mitglieder der EKD-Synode 1996 betonte – „halt doch darum [geht,] Politik möglich zu machen“. Und das „gleichermaßen wachsam, nüchtern und leidenschaftlich, passioniert, und manchmal auch mit Schweigen“ (Nr. 94).
Dieser Text ist mein Beitrag zum EKD-Themenmagazin „Reformation. Macht. Politik“ für das Themenjahr 2014 der Reformationsdekade. Siehe www.reformation-und-politik.de
Die Belege im Text beziehen sich auf die nummerierten Abschnitte in: Das rechte Wort zur rechten Zeit. Eine Denkschrift des Rates der EKD zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, Gütersloh 2008. (Download hier)